Können wir bitte übers Können reden? Es scheint mir nötig.
Jedenfalls solange mir nach wie vor Sprüche wie "Ich kann Yoga" oder "Die kann richtig gut Yoga" begegnen. Sie begegnen mir nach wie vor in meiner Praxis. In meiner Praxis als Yogalehrerin und in meiner eigenen Yogapraxis, wenn ich selbst an Yogastunden teilnehme und mit den Leuten neben mir ins Gespräch komme.
Solche Aussagen kommen von Menschen, die ich dann meistens ziemlich verzwirbelt auf der Matte erlebe. Es sind die, die stets die (heraus)fordernste Variante einer Asana vorturnen – egal wie viele Variationen und Modifikationen eigentlich vorgeschlagen sind. Ja. Vorturnen. Sie turnen vor. Hier das Bein noch höher, dort der Oberkörper noch tiefer, noch ein Vinyasa mehr, noch schneller, noch betonter atmen, noch mehr machen. Das Gesicht? Meist angespannt bei allem, was sie da so tun. Der Blick? Schielt nach rechts und links. Die Posen dienen augenscheinlich zum Posieren. Im Savasana, der Schlussentspannung wird dann noch fix auf die Smartwatch geschaut und/oder die Decke angestarrt, ganz so als ob es bitte schnell vorbeigehen soll mit diesem einfach nur da liegen und einfach nur da sein im Dasein...
Wollten wir die Yoga wirklich in einer Größe wie Können messen, dann müsste man hier ganz klar das Nicht-Können attestieren.
Yoga findet statt – auf und neben der Matte
Aber: Yoga kann man gar nicht können. Denn Yoga ist eine Praxis. Yoga ist kein Wettbewerb, Yoga ist kein Leistungssport. Yoga ist mehr als diese beim Posieren angestrebte Perfektion von Asanas auf der Matte. Es ist eine Reise, die uns lehrt, dass es nicht darum geht, Yoga zu können indem wir was demonstrieren, sondern Yoga zu üben und im besten Falle auch zu leben, indem wir es einfach tun. Es ist dann eine Praxis dies- und jenseits der Yogamatte: Yoga ist eine Philosophie; eine Art zu leben, die weit über die Grenzen der Yogamatte hinausgeht.
Asanas sind ein Werkzeug
Gerade hier in unserer westlichen Welt wird Yoga aber oft auf die körperliche Praxis reduziert. Ohne Frage: Die körperliche Praxis der Asanas ist wichtig, wertvoll, wertschöpfend. Sie macht Spaß, auch Fortschritte auf körperlicher Ebene machen Spaß. Jede Asana ist letztlich aber auch nur ein Werkzeug, jedes Vinyasa nur ein Vehikel.
Oft sagt man, dass Yoga kein Workout, sondern ein Work-In sei. Es geht um Körper, Geist und Seele. Man sagt auch: Im Yoga kommt man nicht mit dem Körper in die Haltungen, sondern mit den Haltungen in den Körper. Ich sage: Und von dort aus geht es doch erst richtig los, weil es nicht mehr um das Körperliche (allein) geht.
Yoga zu üben, bedeutet nicht, sich in komplexe Posen zu winden oder Sonnengrüße und anderes möglichst ästhetisch fließend auszuführen. Die wahre Kunst des Yoga liegt nicht darin, ob man überhaupt oder wie tief man in den Spagat kommt, ob und wie lange man im Unterarmstand oder anderen Poser-Posen verweilen kann oder ob man auch nur im Schneidersitz Platz nehmen kann. Selbst wenn man solche Asanas für sich erarbeitet hat: Yogapraxis auf der Matte bedeutet, dass man dort trotzdem nicht alles macht, was man kann, sondern bewusst wählt, was man sein lässt - um sich selbst einfach mal sein zu lassen. Können kann man sein lassen!
Können kann man sein lassen!
Es geht damit vielmehr darum, wie man die Prinzipien des Yoga in das tägliche Leben integriert. Yoga ist dabei eine Praxis, die uns immer wieder dazu einlädt, uns selbst zu erkunden und zu wachsen. Es ist ein Prozess des ständigen Lernens und Entdeckens. Ob durch Meditation, das Studium alter Schriften oder eben die Ausführung von Asanas – Yoga ist eine persönliche und individuelle Erfahrung, eine persönliche Erfahrungswissenschaft ohne Ende in Sicht. Sowas kann man doch gar nicht können!
Yoga erfahren kann jeder
Das ist es auch, das Yoga für jeden zugänglich macht. Yoga ist nicht exklusiv für diejenigen, die körperlich flexibel sind, das Know-how für den Staatszirkus haben oder am liebsten auf Händen in den Raum gelaufen kommen. Yoga ist eine Einladung, sich selbst zu finden und zu akzeptieren, wo und wie man gerade ist, auch wenn sowas wie eine Asana gerade nicht vorzeigbar ist. Yoga ist eine Praxis, die uns lehrt, geduldig und liebevoll mit uns selbst umzugehen.
Yoga kann man nicht können – man kann es üben, tun, erleben und letztlich leben.
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